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Exposystem Johanneum zur EXPO 2000 Alphabetischer Index unten
Die Natur als Erfindung des Menschen
Naturwissenschaften   Evolution

So, wie wir die Natur erfinden, erfinden wir uns selbst
Evolution, Natur und Menschenbild
Dr. Andreas Paul
Univerität Göttingen
[Naturbilder] [Standort des Menschen] [Ein kognitiver Rubicon?] [Natur in der Kultur] [Nachbemerkung]

Ein kognitiver Rubicon?

Keine Frage: Menschen unterscheiden sich von anderen Tieren auch und gerade hinsichtlich ihrer geistigen Fähigkeiten. Wir bauen Häuser, wir fahren in Autos umher, schreiben Bücher (oder lesen doch zumindest gelegentlich eines), glauben an höhere Wesen, kämpfen mit den Tücken von Computern, haben die hintersten Ecken der Welt erobert, verpesten die Luft, spionieren mit Satelliten den Leuten auf anderen Kontinenten hinterher, sind seit Tausenden von Jahren erfolgreich in der Ausrottung zahlloser Tierarten, und so weiter und so weiter. Kein Zweifel, wir haben es weit gebracht!

Aber wo genau ist er, der unüberbrückbare Rubicon, der Menschen von anderen Tieren kategorial unterscheidet? Vor einiger Zeit habe ich mit Biologielehrern über diese Frage diskutiert und erntete mit dieser Frage zunächst einmal Verwunderung. Eigentlich sei es doch ganz einfach, um nicht zu sagen, sonnenklar: Auch der intelligenteste Schimpanse wäre niemals in der Lage, mit einer Logarithmentafel umzugehen! Als ich antwortete, ich hätte mit Logarithmen auch so meine Schwierigkeiten, habe ich erst gemerkt, welche emotionalen Untiefen man bei der Behandlung dieses Themas immer noch berührt. Aber dennoch: Menschen lassen sich sicher nicht dadurch definieren, dass sie mit Logarithmen umgehen können. Wir müssen an die "Essentials": Vernunft, Bewusstsein, Sprache, Kultur.

Beginnen wir mit der Vernunft. In Ihrem Biologiebuch steht, spezifisch menschlich sei "die Fähigkeit, kausale Zusammenhänge zu erfassen und aus dieser Einsicht Geräte und Werkzeuge zu schaffen und sie sinnvoll zu nutzen." Darwin war da besser informiert: "Es ist oft gesagt worden, dass kein Thier irgend ein Werkzeug gebrauche," schrieb er 1871. "Der Schimpanse knackt aber im Naturzustande eine wilde Frucht, ungefähr einer Walnuß ähnlich, mit einem Steine." Wie ist das also mit der Fähigkeit, kausale Zusammenhänge zu erfassen? Können Affen logisch denken?

Am Vorabend des ersten Weltkrieges
ging ein junger deutscher Psychologe dieser Frage nach.
Er hieß Wolfgang Köhler und
arbeitete mit einer Gruppe junger Schimpansen.
Ich zitiere aus seinem Bericht:

Geprüft wird Sultan. Ihm stehen als Stäbe zwei hohle, aber feste Schilfrohre zur Verfügung, wie die Tiere sie schon oft zum Heranziehen von Früchten verwendet haben. Das eine hat so viel kleineren Querschnitt als das andere, dass es sich in dessen beide Öffnungen leicht einschieben lässt. Jenseits eines Gitter liegt das Ziel so weit entfernt, dass das Tier mit den (etwa gleich langen) einzelnen Rohren nicht ankommen kann. - Trotzdem gibt es sich zunächst große Mühe [..].

Schimpanse

Als alles umsonst ist, begeht Sultan einen "schlechten Fehler" oder, deutlicher gesagt, eine kräftige Dummheit, die sich bei ihm auch sonst bisweilen zugetragen hat: Er zerrt aus dem Hintergrunde des Raumes eine Kiste ans Gitter; von dort schiebt er sie allerdings gleich wieder zurück, da sie nichts nützt oder vielmehr im Wege steht. Gleich danach setzt er ein zwar praktisch nutzloses, im übrigen aber unter die "guten Fehler" zu rechnendes Verfahren ein: Er führt das eine Rohr so weit wie möglich hinaus, nimmt darauf das andere und schiebt mit ihm das erste vorsichtig auf das Ziel zu, indem er es, am hinteren Ende langsam stoßend und drängend, sorgfältig in der Richtung auf die Früchte zu hält. [..] Schließlich gibt der Beobachter dem Tier eine Hilfe, indem er vor dessen Augen den Zeigefinger in die Öffnung des einen Rohres einführt (ohne übrigens dabei auf das andere Rohr hinzuweisen): Keine Wirkung - Sultan steuert wie vorher das eine Rohr mit dem andern aufs Ziel hin, und als diese Pseudolösung ihm nicht mehr genügt, stellt er seine Bemühungen ganz ein [..].

Der Versuch hat über eine Stunde
gedauert und wird, als in dieser Form
aussichtslos, vorläufig abgebrochen. [..]
Für alle Fälle wird der Wärter als
Wachtposten aufgestellt.

Bericht des Wärters: »Sultan hockt zunächst gleichgültig auf der Kiste, die etwas rückwärts vom Gitter stehengeblieben ist; dann erhebt er sich, nimmt die beiden Rohre auf, setzt sich wieder auf die Kiste und spielt mit den Rohren achtlos herum. Dabei kommt es zufällig dazu, dass er vor sich in jeder Hand ein Rohr hält, und zwar so, dass sie in einer Linie liegen; er steckt das dünnere ein wenig in die Öffnung des dickeren, springt auch schon auf ans Gitter, dem er bisher halb den Rücken zukehrte, und beginnt eine Banane mit dem Doppelrohr heranzuziehen. Ich rufe den Herrn...« (Intelligenzprüfungen an Menschenaffen. Berlin, 1973, S. 90-91.)

Dem Schimpansen Sultan war das sprichwörtliche Licht im Kopf aufgegangen. "Es handelt sich durchaus nicht darum, nachzuweisen, dass der Schimpanse ein Wunder von Klugheit ist," betonte Köhler. "Nur ob überhaupt einsichtiges Verhalten bei ihm vorkommt, ist zu entscheiden, und die Beantwortung dieser prinzipiellen Frage ist vorläufig viel wichtiger als eine genaue Bestimmung vorhandener Intelligenzgrade." Für Köhler war die Frage eindeutig entschieden: "Die Schimpansen zeigen einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten." Und weiter: "Dieser Anthropoide tritt nicht allein mit allerhand morphologischen und im engeren Sinn physiologischen Momenten aus dem übrigen Tiersystem heraus und in die Nähe der Menschenrassen, er weist auch jene Verhaltensform auf, die als spezifisch menschlich gilt."

Wo ist er also, der "neue kognitive Apparat", der die Lichtgestalt Mensch aus der dumpfen Tierwelt heraushebt? Müssen wir woanders suchen? Beim Bewusstsein?

Mit dem Bewusstsein hatte die klassische Verhaltensforschung ein Problem, denn sie wollte doch so gern als "exakte" Naturwissenschaft anerkannt werden. Für "exakte" Naturwissenschaften sind aber Phänomene, die sich außerhalb der "reinen" mathematischen Logik und der physikalischen Messbarkeit bewegen, nicht existent. Tieren Geisteszustände, Gedanken, Gefühle zuzusprechen, galt daher als "unwissenschaftlich" oder zumindest naturwissenschaftlichen Methoden nicht zugänglich, denn innere Zustände lassen sich nicht messen, man kann sie nicht zählen, ja noch nicht einmal direkt beobachten. Das gipfelte in der Auffassung, dass Tiere überhaupt keine Bewusstseinszustände hätten. Da war es wieder: Das Tier als geist- und seelenlose Maschine. Sinnesleistungen gelangen hinein, Verhaltensweisen kommen heraus, und damit hat es sich auch schon. So zumindest sah es die in Amerika lange einflussreiche Schule des Behaviorismus.

Die stärker evolutionsbiologisch orientierte europäische Verhaltensforschung sah dies ganz anders: Der Geist fiel schließlich nicht vom Himmel, drückte es Hoimar von Ditfurth einmal aus. Aber da man sich hier mehr mit Fischen und Insekten beschäftigte, spielte das Bewusstseinsproblem auch in der hiesigen Forschung keine Rolle. Der Umschwung kam 1970, als der amerikanische Psychologe Gordon Gallup zeigte, dass Schimpansen in der Lage sind, sich selbst im Spiegel zu erkennen. Er hatte die Tiere, nachdem er sie einige Erfahrung mit Spiegeln hatte machen lassen, kurz betäubt, ihnen einen roten Farbklecks auf eine Augenbraue gemalt, und musste dann feststellen, dass diese Tiere ihr verändertes Äußeres höchst verwundert im Spiegel begutachteten. Wenn man dasselbe Experiment mit Kindern durchführt, stellt man fest, dass diese frühestens im Alter von 1½ bis 2 Jahren genauso reagieren – also das entwickeln, was man ein Bewusstsein seiner selbst nennen kann. Schimpansen haben also mindestens eine Art Selbstbild, eine Form von Selbstbewusstheit. Für die anderen großen Menschenaffen gilt dasselbe, während alle anderen Primaten – Rhesusaffen, Kapuzineraffen, Paviane und wie sie alle heißen – in ihrem Spiegelbild zeitlebens nur einen unbekannten Artgenossen erblicken.

Bewusstsein ist natürlich ein schillernder Begriff. Wenn Schimpansen sich selbst im Spiegel erkennen, bedeutet das, dass sie über sich selbst, das Leben und den Tod reflektieren? Ein wenig Skepsis dürfte angebracht sein. Aber wenn Schimpansen ihren erigierten Penis hinter den Händen verstecken, wenn sie von einem dominanten Männchen bei einem Schäferstündchen überrascht werden, oder wenn sie ihr angsterfülltes Gesicht vor einem Rivalen so lange verbergen, bis sie sich wieder in der Gewalt haben, dann wird man ihnen ein gewisses Maß von Selbstreflexion wohl nicht absprechen können. Wenn Bewusstsein also bedeutet, dass man sich über seine eigenen mentalen Zustände im Klaren ist und dieses Wissen nutzen kann, um das eigene Verhalten und das anderer erklären, voraussagen und manipulieren zu können, dann haben Schimpansen unzweifelhaft ein Bewusstsein.

Und wie steht es mit der Sprache?

"In der Sprache verdichtet sich die unvergleichliche Sonderstruktur des Menschen. Die Sprache des Menschen ermöglicht geistiges Leben.[.]. Dem Menschen sind die Lautzeichen nicht von Natur aus angeboren; er muss sie erst schöpferisch bilden [..]. Die "Sprache" des Tiers offenbart nur animalische Affekte: Freude, Furcht, Wut", sagt der frühere Kanzlerberater und Dominikanerpater Basilius Streithofen, der sein Wissen offenbar auch aus Schulbüchern bezieht. Und dennoch – er irrt.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Meerkatzen – das sind etwa katzengroße Affen, die in den afrikanischen Savannen zu Hause sind – verfügen über eine ganze Reihe verschiedener Lautäußerungen, die ihren Artgenossen ganz bestimmte Bedeutungsinhalte übermitteln – und offenbar auch übermitteln sollen. Vor Leoparden, Adlern und Schlangen warnen die Tiere beispielsweise mit ganz unterschiedlichen Rufen, die auch jeweils unterschiedliches Fluchtverhalten auslösen: "Achtung – ein Leopard", heißt es dann, in unsere Sprache übersetzt. "Alle Mann auf die Bäume!" Offenbaren sich da wirklich nur "animalische Affekte" – Angst, in diesem Fall? Man hat das getestet, indem man die Tiere mit einem gefährlichen Raubtier – einem Besen schwingenden Wissenschaftler im weißen Kittel – konfrontierte, den allerdings immer nur einige Tiere sehen konnten. Dabei kam heraus, dass Männchen, die die Gefahr erkannt hatten, bemerkenswert schweigsam waren, wenn sie mit anderen Männchen zusammen waren. Weibchen hingegen wurden informiert. Dieser sogenannte "Publikumseffekt" ist ein schönes Beispiel dafür, dass Primaten und andere Tiere eben nicht die geistlosen Automaten sind, für die sie seit Descartes gern gehalten werden.

Auch die Ansicht, alle tierischen Kommunikationsformen seien im Gegensatz zur menschlichen Wortsprache angeboren, ist obsolet: Auch Menschen kommen mit einem "Sprachinstinkt" zur Welt, einer angeborenen Lerndisposition, die Kinder in die Lage versetzt, Sprache wie ein Schwamm in sich aufzusaugen. Zwar ist es sicher so, dass die zuständigen genetischen Programme nichtmenschlichen Primaten in der Lautproduktion einen engeren Rahmen setzen, als dies beim Menschen der Fall ist; aber für das Verständnis und den richtigen Gebrauch von Lauten sind Lernprozesse auch bei nichtmenschlichen Primaten von erheblicher Bedeutung.

Natürlich fällt es schwer, die vergleichsweise einfache Kommunikation von Meerkatzen als "Sprache" aufzufassen. Aber wenn "eine Sprache beherrschen heißt," wie der Linguist Noam Chomsky sagt, "im Prinzip fähig sein, zu verstehen, was gesagt wird, und ein Signal mit einer intendierten semantischen Interpretation zu erzeugen," dann verfügen wohl auch Meerkatzen und andere nichtmenschliche Primaten über eine Sprache.

Und wie steht es mit der Kultur, dem letzten Bollwerk menschlicher Einzigartigkeit?

"Niemand hat im Urwald einen fackeltragenden oder einen betenden Schimpansen gesehen, um diesen Tatbestand auf eine grob-einfache Formel zu bringen", schrieb 1980 der vor kurzem verstorbene Schweizer Tierpsychologe Heini Hediger, Vater der modernen Tiergartenbiologie. "Feuer, Transzendentes und Religion sind dem Tier fremd. Hier besteht eine wesentliche Kluft, die nicht zugeschüttet, nicht wegdiskutiert werden kann." Was Tier und Mensch trennt, lässt sich nach Hedigers Meinung "mit einem Wort umschreiben": Kultur.

Unglücklicherweise gibt es weit über hundert verschiedene Kulturdefinitionen. Nur in einem sind sich die Sozialwissenschaftler – die offenbar meinen, dass sie den Kulturbegriff gepachtet haben – einig: Kultur ist per definitionem eine menschliche Errungenschaft.

Logisch zwingend ist das natürlich ganz und gar nicht. Ich will Ihnen die Geschichte von Imo erzählen. Imo war ein kleines puscheliges Affenmädchen, das Anfang der fünfziger Jahre auf einem kleinen Eiland namens Koshima lebte, nur wenig mehr als einen Steinwurf von der japanischen Hauptinsel Kyushu entfernt.

Koshima und Kyushu

Im September des Jahres 1953 – Imo war gerade mal 1½ Jahre alt – machte sie eine folgenschwere Entdeckung. Sie stellte nämlich fest, dass man Süßkartoffeln, die japanische Verhaltensforscher am Strand der Insel ausgestreut hatten, waschen konnte und dass man sich auf diese Weise den ganzen Schmutz und Sand zwischen den Zähnen ersparen konnte. Die Nachricht machte bald die Runde. Als erste übernahm eine Spielgefährtin von Imo, Semushi, das Verhalten. Das war ein Monat nach der Erfindung. Drei Monate später begannen auch Imos Mutter und eine weitere Spielgefährtin Kartoffeln zu waschen. Im März 1958 wuschen 15 der 19 jüngeren und 2 der 11 erwachsenen Tiere in Imos Gruppe Kartoffeln. Damals hatte es sich auch eingebürgert, die Kartoffeln nicht mehr im Bach, sondern im Meer zu waschen, und zwar auch dann, wenn die Kartoffeln nicht schmutzig ware – die Affen hatten das Würzen erfunden. Nur die älteren Männchen machten die neue Mode nicht mit – wir scheinen doch ein wenig konservativ zu sein.

Heute lernen die Affenkinder das Kartoffelwaschen von ihren Müttern als einen selbstverständlichen Bestandteil des Kartoffelessens. 1956, Imo war jetzt 4 Jahre alt, machte sie eine weitere Erfindung: das Weizenwaschen. Weizenkörner lassen sich aus trockenem Sand nicht so gut heraus klauben und vor allem stört der Sand zwischen den Zähnen. Imo nahm also eine Handvoll Sand mit Weizen, warf alles ins Wasser, und nun sank der Sand sehr schnell und der Weizen ließ sich viel besser aufklauben. Auch dieses Verhalten übernahmen andere Tiere, und die Ausbreitung verlief nach demselben Muster wie das Kartoffelwaschen. Allerdings sehr viel langsamer und wesentlich weniger erfolgreich. 1979 wurde eine neue Nahrungsquelle entdeckt: roher Fisch, oder wie die Japaner sagen, Sashimi. Seit 1959 ist es auf Koshima auch Tradition, bei schönem Wetter im Meer zu baden. Lauter Innovationen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und in anderen Populationen keineswegs üblich sind. Aber in anderen Gegenden Japans haben die Affen noch andere nützliche Aspekte des Lebens entdeckt. In der Nähe des Wintersportortes Nagano beispielsweise baden sie im Winter in heißen Quellen. Eine außerordentlich angenehme Sitte, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann.

"Ich bin der Meinung, unter Kultur sollte man sich etwas mehr vorstellen als nur Kartoffelwaschen," bemerkte Hediger dazu süffisant. Darüber lässt sich diskutieren. Aber gibt es irgendeinen objektiven Maßstab, ab wann wir eine Gewohnheit, die zur Sitte geworden ist, als Kultur bezeichnen? Der amerikanische Anthropologe William McGrew kam bei einem Vergleich der Werkzeugkulturen von Schimpansen und traditionellen tasmanischen Aborigines zu dem Ergebnis, dass der auffälligste Unterschied der war, dass die Menschen Beutel oder andere Behälter herstellen, um Nahrung zu transportieren. Soll das also der Rubikon sein, der "das Tier" vom Menschen trennt – Menschen stellen Beutel her?

Wie auch immer: Wenn Kulturen "auf sozialer Modifikation beruhende Verhaltensvarianten sind, deren Träger ihrerseits das Verhalten anderer in gleicher Weise beeinflussen werden," dann gibt es eindeutig auch bei Affen und Menschenaffen Kultur. Vor kurzem erst erschien in der Zeitschrift Nature ein Bericht, nach dem sich 7 verschiedene Schimpansengruppen in Afrika, die man seit Jahren oder Jahrzehnten beobachtet, in nicht weniger als 39 kulturell tradierten Verhaltensmustern unterscheiden. Schimpansen sind übrigens auch der Naturheilkunde mächtig: Sie nehmen bestimmte Pflanzen mit pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffen zu sich – übrigens dieselben, wie die ortsansässige menschliche Bevölkerung – um ihre Zipperlein zu kurieren. Wer hier was von wem abgeguckt hat, ist noch völlig offen.

Nun gut, mögen Sie einwenden, auf der Verhaltensebene gibt es vielleicht so etwas wie Kultur. Aber wenn mit Kultur Unterschiede in Überzeugungen, Wertesystemen und anderen mentalen Vorstellungen gemeint sind, werden wir wohl eher geneigt sein, Tieren Kultur abzusprechen. Aber können wir uns da so sicher sein? Stellen wir uns vor, in Afrika würden zwei Völker entdeckt, von denen das eine offene Gewässer – Bäche, Flüsse, Seen, vom Meer ganz zu schweigen – nie betritt, nie in ihnen badet, sie nie zu überqueren wagt, während das andere in dieser Hinsicht keinerlei Probleme hat. Zweifellos irgendein Tabu, würden wir denken. Es gibt in Afrika zwei solche Völker: die Schimpansen von Gombe und die von Mahale...

Natürlich: Schimpansen sind keine Menschen. Aber je genauer man guckt, desto mehr stellt man fest, sie sind verdammt nah an uns dran! Wenn es einen kognitiven Rubikon gibt, dann verläuft er nach Ansicht vieler Experten nicht zwischen Menschen und anderen Tieren, sondern zwischen Menschenaffen und anderen Tieren.

Das könnte jetzt ein schönes Schlusswort sein. Aber ganz am Schluss sind wir noch nicht. Ich habe jetzt lange von Affen und Menschenaffen gesprochen, aber so gut wie gar nicht von uns selbst. Wie hieß es in Ihrem Schulbuch? "Menschliche Eigenart lässt sich nicht aus tierischen Vorformen erklären." Und: "Die Verhaltensforschung kann dem Menschen nur in seiner Eigenschaft als Naturwesen gerecht werden, nicht jedoch dem Kulturwesen Mensch." Stimmt das?

Bildquelle: Micosoft-Encarta Nächstes Kapitel: Von der Natur in der Kultur

obenAutor: Dr. Andreas Paul, Abitur 70 Web: [Dr. Dörte Haftendorn]  
Datum: Juli 99. Letzte Änderung am 07. August 2023
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