Johanneum zur EXPO 2000 | |||
Die Natur als Erfindung des Menschen | |||
Naturwissenschaften Evolution |
So, wie wir die Natur erfinden, erfinden wir uns selbst Evolution, Natur und Menschenbild | Dr. Andreas Paul Univerität Göttingen |
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Nachbemerkung: |
Bei fast allem, was ich anfangs über die Schlupfwespen sagte, habe ich mich schamlos bei Stephen Jay Goulds wunderbarem Essay "Nichtmoralische Natur" bedient (in: S.J. Gould: Wie das Zebra zu seinen Streifen kam. Suhrkamp stw 919, Frankfurt/M., 1991). Am Ende seines Essays zitiert Gould die kleine Bessie, eine Figur Mark Twains:
Herr Hollister sagt, dass die Wespen Spinnen fangen und sie in ihre Nester im Boden stopfen – lebendig Mami! – und da leben sie und leiden Tage für Tage und Tage, und die hungrigen kleinen Wespen kauen an ihren Beinen und nagen sich die ganze Zeit in ihren Bauch hinein, um sie nur recht gläubig zu machen und damit sie Gott für seine unendliche Gnade preisen. Ich finde Herrn Hollister einfach wunderbar und so unglaublich freundlich; denn als ich ihn fragte, ob er eine Spinne so behandeln würde, sagte er, dass er hoffe, verdammt zu werden, wenn er es täte; und dann hat er – geliebte Mami, Du bist ohnmächtig geworden?
Es war wohl etwas zu viel für die arme Mami; aber "Herr Hollister" hat recht: Spinnen so zu behandeln, ist nicht gerade die feine englische Art. Anders gesagt: "Mutter Natur" ist weder weise noch gerecht oder gar gütig, auch wenn wir sie gern so hätten, und als Vorbild für uns taugt sie schon gar nicht. Nur weil etwas "natürlich" ist, ist es nicht auch schon per se "gut". Aber gerade weil Menschen immer wieder versucht haben, in der Natur ethische Richtlinien für "richtiges" menschliches Verhalten zu finden (auch heute noch gibt es dafür Beispiele), sollten wir uns bemühen, die Natur nicht zu erfinden, sondern sie möglichst unvoreingenommen zu betrachten.
Dass ein falsches Naturbild fast zwangsläufig zu einem falschen Menschenbild führt, hat mein (Göttinger) Lehrer, der 1994 verstorbene Anthropologe Christian Vogel, immer wieder betont: Man dichtet der Natur moralische Qualitäten an und impliziert damit zugleich, dass auch der Mensch in seinem natürlichen Urzustand einen moralisch guten Charakter gehabt habe, der nur durch die Zivilisation, durch ein Übermaß an Intellekt und Machtstreben verbildet und verdorben worden sei. Wer denkt da nicht an die Geschichte vom Paradies, der Schlange und dem Apfel? Aber das Paradies hat es nie gegeben, und der Apfel – unser Intellekt – ist vielleicht neben unserer Fähigkeit zur Empathie die einzige Chance, unsere Welt ein wenig lebenswerter zu gestalten.
Bildquelle für obige Bilder: Micosoft-Encarta eigenes Foto vom Votrag: |
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Autor: Dr. Andreas Paul, Abitur 70
Web: [Dr. Dörte Haftendorn]
Datum: Juli 99. Letzte Änderung am
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