Zum Thema Kurven habe ich 2017 ein grundlegendes Buch "Kurven erkunden und verstehen" geschrieben.
Daher finden Sie sehr viel in www.kurven-erkunden-und-verstehen.de und Kurven bei Mathematik-Verstehen Dort findet Pflege und Weiterführung dieser Themen statt. Seit 2004 hat sich das weltweit frei verfügbare umfassende dynamische Mathematiksystem GeoGebra durchgesetzt.Es ist in allen meinen Büchern und Sites eingesetzt. |
Johanneum zur EXPO 2000 | Johanneum 1998 |
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Die Natur als Erfindung des Menschen | ||||
Mathematik als Erfindung des Menschen |
Pädagogische Situation in der Klasse 8 aL | Fachliche Vorgeschichte |
Didaktische Einordnung und Begründung | Methodische Ansätze und Ziele |
Beschreibung des Ablaufs | Fazit und Ausblick |
Pädagogische Situation in der Klasse 8 aL
Eine muntere mittelgroße Klasse 8 hatte sich im ersten Halbjahr
-entwicklungsbedingt natürlich- mehr mit sich als mit Schule und Lernen befasst. Zumal
ich selbst Klassenlehrerin war, empfand ich es als dringend nötig, die Freude am Lernen
und Erkunden wieder zu wecken. Die algebraischen Themen dieser Klassenstufe erwecken bei
den Jugendlichen im allgemeinen -so auch hier- kein sonderliches Interesse, da sich der
Nutzen des Gelernten kaum erschließt. Für ein Empfinden der formalen Ästhetik der
Mathematik ist die lernpsychologische Situation in diesem Alter (13-14 Jahre) noch nicht
geeignet. So habe ich versucht, die Schönheit der Geometrie für sich sprechen zu
lassen und gleichzeitig durch die zugehörigen Formeln ein Licht auf den Nutzen der
Algebra zu werfen. Darüberhinaus hoffte ich sehr, durch die Ermöglichung freieren
Arbeitens das Verantwortungsgefühl für das eigene Lernen stärker zu entwickeln.
Fachliche Vorgeschichte
In Klasse 7 hatte ich mit dieser Klasse mit dem Dynamischen Geometrie
System EUKLID gearbeitet. Ausführliche
Informationen zu DGS
Bericht dieser Klasse
Im Verlauf der 7. Klasse waren die Richtlinien Geometrie Klasse 7/8 bis auf die
Kongruenzsätze erfüllt. Da Geometrie sehr gern und auch gerne mit
Computerunterstützung betrieben worden war, war es sinnvoll, in Klasse 8 mehr als nur
dieses Restthema zu behandeln. Leitgedanke wurde der Begriff der Ortskurve.
Didaktische Einordnung und Begründung
Ein wichtiges Thema in der zweiten Hälfte der Klasse 8 ist die Grundlegung
des Funktionsbegriffs. Aus leidvoller Erfahrung wissen die Mathematiklehrer, dass
in diesem Punkt bis weit in die Oberstufe hinein Elementares nicht verstanden ist.
Auf der Suche nach Ursachen stößt man auf die Einschränkung der Funktionsbegriffs
auf die lineare Funktion, die Gerade, wie sie in Klasse 8 nach einer mehr oder weniger
halbherzigen und schnellen Einführungsphase vorgenommen wird. Hier leisten leider
die Richtlinien, die Lehrbücher und Notwendigkeit, abfragbares Wissen zu erzeugen,
Vorschub. Der Kern, nämlich die eindeutige Vorschrift, wird meist
schnell aus den Augen verloren.
Weiterhin werden Funktionsgraphen fast immer ausschließlich im kartesischen
Koordinatensystem dargestellt, außer x und y tauchen allenfalls physikalische Größen
auf. Diese Regel, die meist erst für Leistungskurse im Jahrgang 13 aufgehoben wird,
schränkt das Funktionsverständnis, wenn es denn endlich vorliegt, in unzulässiger Weise
ein. Ein erweitertes Verständnis ist nicht nur mathematisch sinnvoll, sondern geradezu
notwendig, wenn der Mathematikunterricht seine Kalkülfixierung aufheben will.
Der Ortslinienbegriff selbst ist Anfang der 70-iger Jahre
leider in der Welle der "Strukturmathematik" aus dem Schulunterricht fast
verschwunden. Mit Hilfe der Computer-Mathematikwerkzeuge lässt er sich in zeitgemäßer
Weise mit neuem Sinn füllen. Die interaktiven und graphischen Möglichkeiten der
Computer können allen Schülern Bereiche erschließen, die früher nur den
Begabtesten offenstanden. Dabei geht es in Klasse 8 natürlich um eine
propädeutische Stufe, und keinesfalls um "Herleitungen" analytischer Art.
Das genaue Befolgen einer Konstuktionsvorschrift erst mit Zirkel und Lineal, dann mit
"EUKLID", das Beobachten, das Beschreiben, das Variieren, das Begründen
einzelner Eigenschaften, das Erkunden und Klassifizieren der vorkommenden Typen, das alles
sind "urmathematische Tätigkeiten", deren Pflege dem Ziel von
Mathematikunterricht -so wie ich es sehe- wesentlich näher kommt, als die Pflege von
Kalkülen.
Dabei verkenne ich keineswegs, dass auch die anerkannt notwendigsten Kalküle dann, wenn sie im weiteren Verlauf des Unterrichts oder nach der Schule benötigt werden, kläglich unzulänglich beherrscht werden. Über die Gründe dafür wird zur Zeit mit Recht viel nachgedacht. Ich schreibe das Versagen aber nicht etwa dem zu geringen Übungsgrad, sondern eher der Sanktionierung von sinnentleertem Üben über zu große Zeiträume zu. Unter letzterem Phänomen leidet gerade Klasse 8. Durch die Mitteilung der Formeln der auf geometrische Weise erzeugten algebraischen Kurven habe ich also versucht, für die Schüler eine Brücke zu schlagen zwischen den im Schulbuch reichlich vorkommenden sinnentleerten Termen und den als schön und interessant empfundenen Kurven.
Der wirkliche Anwendungsbezug der Kurven war mir durchaus wichtig,
aber nicht alleiniges Motiv. Wie jede Kunst hat auch die Mathematik eine innewohnende
Schönheit und Berechtigung.
Methodische Ansätze und Ziele
In Mathematik ist die sogenannte "fragend-entwickelnde Unterrichtsmethode"
vorherrschend oder zumindest am Gymnasium sehr häufig anzutreffen. In diesem Fach
können sich Schüler (bis auf einzelne) nicht eigenständig "Literatur"
oder gar "Quellen" erschließen. (Wer's nicht glaubt, der frage zehn beliebig
herausgegriffene gebildete Erwachsene, die nicht einschlägig studiert haben.) Auch in den
Medien kommen mathematische Themen allenfalls als Knobeleien vor.Damit fehlen die in
anderen Fächern möglichen Materialien für eigenständige Arbeit. Schulbücher und
Lehrer sind auf passende Dosierung und Portionierung angewiesen. Die
Beschränkungen betreffen weniger die Ideen, sondern vor allem die noch nicht in
hinreichendem Maß entwickelten Fähigkeiten der Schüler und die Zeit,
die sie für eine Lösung benötigen.
In dieser Hinsicht bieten heute die Computerwerkzeuge entscheidende Hilfen: Sie ersetzen
nicht die Idee, aber sie ermöglichen schnelle Prüfungen, regen zur Variation der
Lösungsidee an, sparen Zeit beim Ausprobieren, visualisieren, tragen zur Klärung bei.
Bei alledem sind sie unerbittlich streng, aber nicht "nachtragend", und
damit wirken Sie erzieherisch gegen "Schlamperei".
Der Einsatz des Computers, hier eines dynamischen Geometriesystems (DGS), erlaubt
also endlich, das freie Arbeiten mit eigenem Tempo in einer
nicht gegängelten Situation zu lernen, zu üben und zu pflegen.
Auch das Arbeiten mit Zirkel und Lineal und die Beschreibung der Konstruktion sollten
weiter geübt werden.
Schülergruppen hatten abschließend eine Kurve oder Kurvenklasse zu betreuen. Es wurden
gemeinsam Kriterien entwickelt, was in der (elektronischen) Präsentation vorkommen
sollte.
Beschreibung des Ablaufs
In einer Einführungsphase wurden "gängige" Ortsaufgaben, die auf Geraden oder
Kreise führen, gestellt und zunächst mit Zirkel und Lineal gelöst. An den
unübersichtlicheren Aufgaben wurde der Umgang mit dem EUKLID wieder aufgegriffen und das
Ortslinienwerkzeug eingeführt. Dazu arbeitete die Klasse im Computerraum, meist nur eine
allenfalls zwei von drei Wochenstunden. Etwa die Hälfte der Schüler hatte das Programm
auch zuhause. Ob die Hausaufgabe mit Zirkel und Lineal oder mit EUKLID (und dann gedruckt)
ausgeführt wurde, war den Schülern freigestellt. Es hat sich gezeigt, dass einige Freude
an der "händischen" exakten Arbeit hatten, unabhängig vom Vorhandensein eines
Computers zuhause. Anderen genügte ihr eigenes Zeichenvermögen nicht, sie fanden die
Computerzeichnungen "schöner" und klebten sie in ihre Mappe. Bei einer dritten
Gruppe war die notorische Unlust so stark, dass sie kaum Hausaufgaben machten.
Immerhin aber hatten sie die Unterrichtsstörungen eingestellt.
Es wurden alle Kurven gemeinsam erarbeitet. Je nach Fall
stand am Anfang eine "große" Demonstration mit Band, Stangen, Lichtstrahlen
u.ä.
Daran schoß sich eine freie Arbeit an der Realisierung an. Sie mündete in eine gute
Zeichnung, von Hand oder mit Computer. Abschließend wurden die Eigenschaften der Kurve so
gut als möglich geometrisch begründet. Die Formeln wurden mit meiner Hilfe aus dem Heft
von Weth oder aus Büchern entnommen und (wie oben
erläutert) nur "angesehen". An Ellipse und Parabel habe ich die Zusammenhänge
zwischen Formel und Graph ausführlicher deutlich gemacht und die SChüler auch selbst
Graphen rechnen lassen.
Die Betreuung der Gruppen, die je eine Kurve gut darstellen sollten, erwies sich als
schwierig. Sie sollten sich eigentlich aus bereitgestellten Büchern zur Geschichte und zu
Anwendungen der Kurven etwas heraussuchen. Das hat nur bei wenigen geklappt. Schüler
dieses Alters sind offenbar noch nicht in der Lage, "selektiv" zu lesen. Der nur
dreistündige Unterricht und die Klassenleitungsaufgaben ließen auch zu wenig Zeit,
alles im Unterricht zu machen. So gab es in den Gruppen
"Trittbrettfahrer", aber immerhin hatte ich dann von jeder Gruppe eine
Konstruktionsbeschreibung, eine Konstruktionszeichnung, eine Ergebniszeichung, von den
besseren Gruppen auch Diskussion der verschiedenen Ergebnisse und geschichtliche Hinweise
und Anwendungen.
An Unterrichtszeit habe ich den Februar und März (8 Wochen, je max. 3 Stunden) verwendet
und am Ende eine Klassenarbeit geschrieben.
Fazit
Auch für mich war dieses ungewöhnliche Thema eine neue Erfahrung. Aus meiner Sicht hat
es sich sehr gelohnt. Meine Hoffnungen bezüglich der Haltung zur Mathematik und
bezüglich der "Entdeckerfreude" sind i.w. in Erfüllung gegangen. Ich war
selbst erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Besonderheiten wie Doppelpunkte,
Asymptoten, Begrenztheit (der Definitionsbereiches) als "natürlich" hingenommen
wurden. Es zeigte sich auch, dass im Anschluß das Thema "Geraden" tatsächlich
als Eingrenzung auf einen besonders leichten Fall sehr schnell verstanden wurde. Auch bei
Bruchtermen und Bruchgleichungen, wie sie am Ende von Klasse 8 noch üblich sind, konnte
ich eine ungewöhnliche Bereitschaft, sich damit zu befassen, feststellen. Ob nun auf
lange Sicht ein Lernerfolg verbessert wird, kann ich naturgemäß nicht beweisen, habe
aber guten Grund, das zu hoffen. Für die Durchführung hätte ich gern noch mehr Zeit
gehabt.
In der Mathematik existieren diese
schönen Kurven, ihre Gesetzmäßigkeiten, ihre Gleichungen und innermathematischen
Bezüge ohne Rücksicht und Rückgriff auf die Anwendungen und die Anwender. Es wäre
verfehlt, dieses Thema lediglich unter dem Aspekt der Nützlichkeit für die
"Welt" in der Schule zu behandeln. Die Nützlichkeit für die pädagogische
Situation habe ich oben erläutert.
Hier zeigt sich in besonders klarer Weise, dass Mathematik nicht eine Reaktion des
Menschen auf die Anforderungen der Umwelt ist, sie ist in den meisten ihrer Möglichkeiten
nicht nötig für den "Überlebenskampf". Ungeachtet der verschiedenen
Ansätze zu der philosophischen Frage, ob die Mathematik ohne den Menschen
überhaupt existiert oder erst durch ihn in die geistige Welt tritt, erfordert sie,
um überhaupt vom Menschen erlebt zu werden, ständiges Erfinden, neues Sehen, neues
Ordnen. Insofern ist die Erfahrung von Mathematik eine zum Menschen gehörende
geistige Tätigkeit.
Also: Die Mathematik als Erfindung des Menschen.
Autorin und Web: [Dr. Dörte Haftendorn]
[Exposystem] [Mathematik als Erfindung] [Mathematik 2000]